Sexualität im viktorianischen Zeitalter: Tabus und Unterdrückung

15.01.2024 2631 mal gelesen 1 Kommentare
  • Im viktorianischen Zeitalter war Sexualität ein Tabuthema und wurde in der Öffentlichkeit selten diskutiert.
  • Strenge moralische Codes und Geschlechterrollen unterdrückten sexuelle Freiheiten, insbesondere für Frauen.
  • Die Prostitution war trotz der offiziellen Tabuisierung von Sexualität weit verbreitet und wurde oft als notwendiges Übel angesehen.

Sexualität im viktorianischen Zeitalter: Ein Überblick

Das viktorianische Zeitalter ist bekannt für seine sittsam strengen Ansichten zur Sexualität. Dieser Zeitabschnitt, der sich über das gesamte 19. Jahrhundert erstreckt, ist geprägt von einer Gesellschaft, die Sexualität als etwas zutiefst Privates und oftmals als anstößig betrachtete. Zeitgenossen des viktorianischen Englands mussten sich mit einer Vielzahl von gesellschaftlichen Erwartungen und Einschränkungen auseinandersetzen, die ihre sexuelle Selbstentfaltung stark limitierten.

In dieser Epoche wurde Sexualität größtenteils hinter einer Fassade der Respektabilität verborgen. Eine offene Kommunikation über sexuelle Wünsche und Bedürfnisse wurde nicht nur als unangebracht, sondern auch als moralisch verwerflich angesehen. Die Sexualunterdrückung führte zu einem Umfeld, in dem das Kennenlernen der eigenen Sexualität und die freiwillige Auslebung dieser mit Scham und Schuld belegt waren.

Im öffentlichen Diskurs wurde Sexualität hauptsächlich im Kontext der Fortpflanzung thematisiert. Sexuelle Aktivitäten galten vornehmlich als Mittel zur Zeugung von Nachwuchs innerhalb der Ehe und weniger als Ausdruck von Liebe oder gar Lust. Es entwickelten sich klare Geschlechterrollen, die Männern zwar mehr sexuelle Freiheiten ließen, diese aber ebenfalls an strenge, wenn auch weitgehend unausgesprochene, Verhaltenskodexe banden.

Die Folgen dieser Tabuisierung und Unterdrückung sexueller Ausdrucksformen reichen bis in die moderne Gesellschaft hinein und wirken sich auf heutige Diskussionen über Sexualität und Geschlechterrollen aus. Die sexualität im viktorianischen Zeitalter ist somit weit mehr als eine historische Epoche – es ist ein Spiegelbild der kulturellen und sozialen Dynamiken, die noch heute nachhallen.

Die moralischen Normen und Werte der viktorianischen Gesellschaft

Die viktorianische Gesellschaft war von einer strengen moralischen Ordnung durchdrungen. Die vorherrschenden Normen und Werte waren tief im puritanischen Glauben verwurzelt, der ein asketisches Lebensmodell propagierte. Dies zeigte sich insbesondere in einem rigiden Verhaltenskodex, der besagte, dass Keuschheit und Tugendhaftigkeit zu den höchsten Idealen zählten.

Der Einfluss der Kirche auf die öffentliche Moral konnte kaum überschätzt werden. Predigten und religiöse Texte mahnten zu einem Leben, das frei von sündhaften Gedanken und Handlungen sei, wobei die Sünde oftmals gleichgesetzt wurde mit lasterhafter Sexualität. Dies führte zu einer starken Betonung der Enthaltsamkeit außerhalb der Ehe und selbst innerhalb dieser an eine zurückhaltende Ausübung.

Soziale Etikette ließ kaum Raum für eine freie Entfaltung des Individuums. Man erwartete, dass Männer und Frauen jeweils ihre Rollen in der Gesellschaft erfüllten. Während von Männern eine gewisse weltliche Erfahrung toleriert wurde, sollten Frauen nahezu engelsgleich erscheinen. Ihre Tugend war nicht nur ein persönliches Gut, sondern ein unschätzbarer Wert, der die Reinheit der Familie und damit auch den gesellschaftlichen Stand symbolisierte.

Die Bedeutung dieser Normen und Werte wurde in unterschiedlichen Lebensbereichen manifest. Ob es die strenge Auswahl an akzeptierten Freizeitaktivitäten war, die rigide Kontrolle der Literatur und des Theaters oder die vornehme Sprache, die keinen Raum für Zweideutigkeiten ließ – das tägliche Leben war geprägt von den Bestrebungen, die vorgegebenen moralischen Standards zu erfüllen.

Diese moralischen Imperative hatten nicht zuletzt bedeutenden Einfluss auf die Erziehung. Kinder wurden streng nach den Prinzipien der Selbstbeherrschung und des Verzichts erzogen. Bereits früh lernten sie, dass die Einhaltung der gesellschaftlichen Konventionen entscheidend für ihre Zukunft und ihren Ruf war. Dadurch wurde die nächste Generation fest in die moralischen Traditionen des viktorianischen Zeitalters eingebunden.

Die Ambivalenz der Sexualität im viktorianischen Zeitalter

Pro Contra
Fokus auf familiäre Werte und stabile gesellschaftliche Strukturen. Extreme Unterdrückung sexueller Freiheit und natürlicher Impulse.
Förderung der romantischen Liebe als Ideal und Grundlage der Ehe. Sexualität als Thema war mit Scham und Tabuisierung belastet, auch in der Ehe.
Entwicklung eines Kodex für moralisch "angemessenes" Verhalten, wodurch gesellschaftlicher Zusammenhalt betont wurde. Doppelmoral, die zu Heuchelei und Verleugnung der menschlichen Natur führte.
Kunst und Literatur oftmals genutzt als subtile Mittel zur Auseinandersetzung mit Sexualität. Frauen wurden besonders stark in ihrer sexuellen Selbstbestimmung eingeschränkt und oft sexualisiert, trotz der Tabuisierung von Sexualität.
Etablierung von Benehmensregeln, die bis in die moderne Zeit hineinwirken. Klassenspezifische Unterschiede verstärkten Ungleichheiten im Zugang zu sexueller Bildung und Freiheit.

Tabus und Mythen rund um die Sexualität

Rund um die Sexualität im viktorianischen Zeitalter rankten sich nicht nur strikte Tabus, sondern auch zahlreiche Mythen, die aus heutiger Sicht oft befremdlich erscheinen. Diese Mythen waren tief in der Gesellschaft verankert und wurden genutzt, um sexuelle Verhaltensweisen zu steuern und zu kontrollieren.

Ein häufiges Tabu war die öffentliche Diskussion von Sexualität. Es wurde als anstößig betrachtet, über sexuelle Themen zu sprechen oder sich zu informieren. Dies führte zu einer weit verbreiteten Unwissenheit, die von Mythen und Halbwahrheiten gefüllt war. Ein solcher Mythos war die Annahme, dass sexuelle Enthaltsamkeit gesundheitsförderlich sei und moralische Stärke fördere, während sexuelle Aktivität als schwächend und potenziell krank machend galt.

Ein weiterer Mythos bezog sich auf die weibliche Sexualität. Frauen wurden als Wesen angesehen, die kaum sexuelle Bedürfnisse hätten. Ihre Rolle wurde auf die der Ehefrau und Mutter beschränkt, und jegliche Anzeichen weiblicher Lust wurden oft pathologisiert. Im Umkehrschluss fand das Konstrukt der 'gefälligen Frau' Anwendung, die ihre sexuellen Dienste als eheliche Pflicht und nicht aus eigenen Bedürfnissen heraus erfüllte.

Mythen über die männliche Sexualität hingegen stigmatisierten häufig die Selbstbefriedigung, die als Ursache für eine Vielzahl von physischen und psychischen Problemen gesehen wurde. Diese Einstellung war unter dem Begriff der 'Selbstverunreinigung' bekannt und wurde in der Medizin und im Volksmund als Grund für unterschiedlichste Leiden angesehen.

Die Aufrechterhaltung dieser Tabus und Mythen wurde durch eine Vielzahl von Mechanismen erreicht. Die Zensur von Büchern und Kunst, die als unzüchtig galten, trug ebenso dazu bei wie die Predigten der Kirchen und die gesellschaftliche Ächtung von Personen, die gegen diese Normen verstießen.

Diese Tabus und Mythen schufen eine Kultur des Schweigens und der Scham bezüglich der Sexualität. Sie lasteten schwer auf dem individuellen Ausdruck von Lust und Begierde und prägten das sexuelle Verständnis von Generationen im viktorianischen Zeitalter und darüber hinaus.

Die Rolle der Frau: Zwischen Keuschheit und Mutterschaft

Die Rolle der Frau im viktorianischen Zeitalter war von einem Spannungsfeld zwischen der Erwartung der Keuschheit und der ideellen Überhöhung der Mutterschaft geprägt. Frauen wurden als Hüterinnen der häuslichen Tugend betrachtet, und ihre Sexualität war eng an die Aufgaben der Ehe und der Erziehung von Nachkommen gebunden.

Keuschheit galt als eine der wichtigsten Tugenden einer Frau. Ihre Ehre und die ihrer Familie hinge stark von ihrer Fähigkeit ab, sich vor der Ehe unschuldig und rein zu präsentieren. Die gesellschaftliche Anerkennung einer Frau – und damit auch ihre Heiratschancen – hingen maßgeblich von diesem Ideal ab.

Nach der Hochzeit jedoch verschob sich die Erwartungshaltung hin zur Mutterschaft. Frauen wurden als natürliche Erzieherinnen ihrer Kinder verstanden, und von ihnen wurde erwartet, dass sie sich selbstlos um ihr Wohl kümmerten. Ihre sexuellen Bedürfnisse blieben im gesellschaftlichen Diskurs weiterhin unerwähnt, obgleich sie nun die Rolle der Ehefrau und Mutter mit all den damit verbundenen Pflichten erfüllen sollten.

Die Bildung von Frauen wurde nur so weit gefördert, als sie zur Ausführung ihrer Rollen als Ehefrauen und Mütter notwendig erschien. Eine weiterführende, etwa akademische Bildung, blieb für die meisten Frauen unerreichbar und wurde nicht selten als unnötig erachtet, da sie nicht zur traditionellen Frauenrolle passte.

Die viktorianische Epoche stellte somit für Frauen eine Zeit der stark begrenzten Möglichkeiten dar. Ihre Rolle wurde vor allem durch die gesellschaftlichen Vorgaben von Keuschheit und Mutterschaft definiert, was zu einer eingeschränkten Selbstbestimmung und einem eingeschränkten Zugang zu Bildung und Berufswelt führte.

Männliche Sexualität: Doppelmoral und Verheimlichung

Die männliche Sexualität im viktorianischen Zeitalter war von einer offensichtlichen Doppelmoral geprägt. Einerseits bestanden strenge moralische Erwartungen, ähnlich jenen, die an Frauen gestellt wurden. Andererseits waren es insbesondere die Männer, denen gesellschaftlich ein gewisses Maß an sexueller Freizügigkeit zugestanden wurde - solange sie im Verborgenen blieb.

Männer hatten die Freiheit, sich sexualitätsbezogene Kenntnisse anzueignen und sexuelle Erfahrungen zu sammeln, allerdings wurde dies nicht öffentlich thematisiert. Inoffiziell akzeptierte Praktiken wie der Besuch bei Prostituierten gehörten für bestimmte Klassen zur Lebenswelt vieler Männer, wurden jedoch zugleich offiziell verurteilt und mussten streng geheim bleiben.

Die Lust der Männer wurde als triebhaft und schwer kontrollierbar angesehen, was gesellschaftlich einerseits zu einer stillschweigenden Toleranz von Außerehelichem führte, andererseits jedoch in Form von Literatur und Gesetzeswerken zur zügellosen Natur des Mannes mahnte. Diese Ambivalenz erschwerte es Männern ebenso, ein gesundes Verhältnis zur eigenen Sexualität zu entwickeln.

Offene Gespräche über männliche Bedürfnisse oder Fragen zur Sexualität waren weitgehend tabu, aufklärerische Literatur war mitunter schwer zugänglich und geprägt von moralischer Belehrung. Die Erziehung der Jungen vermittelte oft das Bild vom starken Geschlecht, das jedoch seine Lust im Zaum halten und vor der Ehe keusch bleiben sollte.

Die verdeckte Natur, mit der männliche Sexualität behandelt wurde, trug zu einem Umfeld bei, in dem sexuelles Fehlverhalten und damit verbundene Probleme wie Geschlechtskrankheiten nicht offen angesprochen wurden. Dadurch blieben sie häufig unbehandelt und führten zu weiteren Tabus und Mythen, die die Sexualität umgaben.

Die Unterdrückung sexueller Freiheiten und deren Folgen

Die starke Unterdrückung sexueller Freiheiten im viktorianischen Zeitalter hatte tiefgreifende Folgen für Individuen und die Gesellschaft als Ganzes. Diese Unterdrückung beschränkte sich nicht nur auf den Ausdruck von Sexualität, sondern berührte viele Aspekte des persönlichen und öffentlichen Lebens.

So führte die soziale Stigmatisierung von sexueller Aktivität außerhalb der Ehe häufig zu heimlichen Beziehungen und zu einer Kultur des Versteckens und der Geheimniskrämerei. Diese Verborgenheit konnte zu psychologischen Belastungen führen, da sich Individuen ihrer natürlichen Bedürfnisse schämten und diese unterdrückten.

Ein weiteres Problem war der Mangel an seriöser Sexualedukation. Unwissenheit und Fehlinformationen über sexuelle Gesundheit und Empfängnisverhütung waren weit verbreitet, was zu einer hohen Rate von unerwünschten Schwangerschaften und zur Verbreitung von Geschlechtskrankheiten beitrug.

Die Unterdrückung sexueller Freiheiten hatte auch Einfluss auf die Partnerschaften und die familiäre Dynamik. Ehen basierten oft eher auf sozialen und wirtschaftlichen Überlegungen als auf Liebe und gegenseitiger Anziehung. Dadurch waren viele Paare unzufrieden mit ihren Beziehungen, was nicht selten zu emotionalen Distanzen und Ehebrüchen führte.

Die Folgen reichten bis in die medizinische Praxis hinein, wo beispielsweise die weibliche 'Hysterie' als Krankheitsbild galt, das unter anderem mit unterdrückter Sexualität in Verbindung gebracht wurde. Betroffene Frauen unterzogen sich oft fragwürdigen Behandlungsmethoden, die auf eine Besserung dieses Zustandes abzielten.

Kurz gesagt, die Unterdrückung sexueller Freiheiten im viktorianischen Zeitalter förderte eine Atmosphäre von Angst und Misstrauen gegenüber einem der natürlichsten Aspekte menschlichen Lebens – der Sexualität selbst. Die langfristigen Auswirkungen dieser Ära zeigen sich noch heute in gesellschaftlichen Debatten über sexuelle Rechte und Freiheiten.

Ehe und Intimität im Schatten des Puritanismus

Inmitten des viktorianischen Zeitalters, in dem puritanische Wertvorstellungen das gesellschaftliche Bild bestimmten, fand die Ehe als Institution eine besonders geartete Bedeutung. Sie galt als Grundpfeiler der sozialen Ordnung und war gleichzeitig Schutzraum und Gefängnis für die Intimität zwischen den Ehepartnern.

Der vorherrschende Puritanismus zeichnete ein Bild der Ehe, das eher auf Pflichterfüllung und Funktion als auf emotionaler Nähe und Zuneigung beruhte. Aufrichtige Liebe und Leidenschaft wurden oft überschattet von der Last, den moralischen Erwartungen gerecht zu werden und soziale Anerkennung zu bewahren.

Innerhalb der ehelichen Intimität stand die Erfüllung sexueller Pflichten mit dem Ziel der Fortpflanzung im Vordergrund. Die Bedürfnisse und Wünsche beider Partner, insbesondere jedoch der Frauen, wurden selten thematisiert oder berücksichtigt. Sexualität als Ausdrucksform von Liebe und Nähe fand wenig Raum in den ehelichen Schlafgemächern des viktorianischen Britanniens.

Die Kindererziehung folgte dem gleichen strengen Muster. Eltern lehrten ihre Kinder, Sexualität als etwas anzusehen, was hinter den Ehewänden und unter strenger moralischer Kontrolle zu bleiben habe. Somit wurden junge Menschen oft ohne ausreichendes Wissen und Verständnis für die intimen Aspekte einer Partnerschaft in die Ehe entlassen.

Diese Einstellungen prägten Generationen und gestalteten die Beziehungen innerhalb der Ehe als engere gesellschaftliche Einheit mit einem spezifisch viktorianischen Charakter. Die Wahrung des Ansehens und die Erfüllung gesellschaftlicher Vorgaben standen oft über persönlichem Glück und der Entfaltung der partnerschaftlichen Liebe.

Verborgene Lüste: Die heimliche Welt der viktorianischen Erotik

Trotz der strengen öffentlichen Moral existierte im viktorianischen Zeitalter eine verborgene Welt der Erotik. Unter dem Deckmantel bürgerlicher Anständigkeit entwickelte sich ein geheimes Bedürfnis nach sexueller Erfüllung und stimulierenden Erlebnissen.

Die viktorianische Gesellschaft erlebte ihren eigenen Kontrast in Gestalt von erotischer Literatur, Anstandslektüren, die zwischen den Zeilen laszive Geschichten erzählten, und Kunstwerken, die sinnliche Motive in versteckten Details zeigten. Diese Werke wurden im Geheimen gehandelt und zirkulierten in einer Subkultur, die von der Oberschicht bis zu den unteren Schichten reichte.

Ebenso existierte ein Schwarzmarkt für erotische Fotografien und Objekte, die als Anreiz für intime Fantasien dienten, sich aber auch in einer zaghaften sexuellen Befreiung manifestierten. Die Doppelmoral der Zeit fand ihren Widerhall in der Existenz von bordellähnlichen Etablissements und privaten Clubs, in denen Mitglieder der Gesellschaft ihren verborgenen Lüsten nachgehen konnten.

In diesen versteckten Nischen erfüllten sich manche Männer und Frauen ihre sexuellen Wünsche abseits der strengen viktorianischen Konventionen. Während der Tag der Prüderie gehörte, rezitierten die Nächte eine andere Sprache. Diese Welt war geprägt von einer erkennbaren Sehnsucht nach dem Verbotenen und unterstreicht die komplexe Natur menschlicher Sexualität, die sich auch von starren Moralvorstellungen nicht völlig unterdrücken lässt.

Die heimliche Welt der viktorianischen Erotik zeigt, dass das Bedürfnis nach sexuellem Ausdruck auch in einer von Tabus durchzogenen Gesellschaft einen Weg findet, um sich Bahn zu brechen. Sie ist ein Beleg dafür, dass Sexualität ein grundlegender Teil des Menschseins ist und ihre Unterdrückung nur zur Entstehung versteckter Räume führt, in denen sie dennoch gelebt werden kann.

Wissenschaft und Sexualität: Die Anfänge der Sexualforschung

Das viktorianische Zeitalter war nicht nur eine Epoche der sexuellen Unterdrückung, sondern markierte auch den Beginn der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der menschlichen Sexualität. Pioniere der Sexualforschung wagten es, sich gegen die vorherrschenden Meinungen zu stellen und legten den Grundstein für ein wissenschaftliches Verständnis von Sexualität.

Die Sexualforschung dieser Zeit nahm ihre Anfänge in den Arbeiten von Ärzten und Forschern, die damit begannen, biologische und psychologische Aspekte der Sexualität zu studieren. Diese frühen Sexologen betrachteten sexuelle Präferenzen und Verhaltensweisen aus einer wissenschaftlichen Perspektive und versuchten, die Mechanismen hinter sexueller Erregung und Reproduktion zu entschlüsseln.

Dieses wachsende Interesse führte zu den ersten Veröffentlichungen, die Sexualität als einen integralen Bestandteil der menschlichen Natur einordneten und nicht als etwas, das schamhaft verborgen bleiben müsse. Eine Schlüsselfigur dieser Bewegung war Havelock Ellis, dessen Werke zu einer differenzierteren Sichtweise auf sexuelle Identitäten und Orientierungen beitrugen.

Die Anfänge dieser Forschungsbewegung waren trotz ihres innovativen Charakters nicht frei von Kontroversen und Kritik. Die Gesellschaft sah in der wissenschaftlichen Erforschung von Sexualität ein potentielles Risiko für die moralische Ordnung. Dennoch war diese Zeit richtungsweisend für die Entwicklung der modernen Sexualwissenschaft.

Die Begründung der Sexualforschung im viktorianischen Zeitalter ebnete somit den Weg für ein fortschrittlicheres Verständnis und die Enttabuisierung von Sexualität, wenngleich ihre Anfänge ein Kampf gegen starre gesellschaftliche Konventionen waren.

Das Erbe des viktorianischen Zeitalters: Einfluss auf die moderne Sexualmoral

Das viktorianische Zeitalter hat ein bemerkenswertes Erbe hinterlassen, das bis in unsere heutige Zeit die Sexualmoral beeinflusst. Die damit verbundenen Perspektiven auf Sexualität prägten lange Zeit die westliche Kultur und wirken auf subtile, manchmal weniger offensichtliche Weise auf moderne Auffassungen von Sexualität ein.

Die Epoche des Viktorianismus erzeugte ein gesellschaftliches Fundament, das sexuelle Themen oft mit Scham und Verschwiegenheit umgab. Diese Haltung führte zu einer Sexualmoral, die sexuelle Abstinenz vor der Ehe hochhielt und sexuelle Ausdrucksfreiheit mit Argwohn betrachtete. Promiskuität und sexuelle Abweichungen von der als normal erachteten heterosexuellen Ehebeziehung wurden stigmatisiert und kriminalisiert.

Die daraus resultierende Zurückhaltung bei sexueller Bildung und Kommunikation hinterließ Spuren in Tabus und Unsicherheiten, die auch heutige Gesellschaften noch erfahren. Das Sprechen über Sexualität in der Familie oder in Bildungsinstitutionen ist oft geprägt von einer gewissen Vorsicht und Zurückhaltung, die ihren Ursprung in einer viktorianischen Auffassung von Anstand und Keuschheit findet.

Die heutige Sexualmoral ist zudem geprägt von der damaligen Definition der Geschlechterrollen. Sowohl die viktorianische Überhöhung der Frau als reine und tugendhafte Mutter als auch die Vorstellung vom Mann als sexuell dominantem Wesen beeinflussen nach wie vor die Erwartungen und das Selbstbild der Geschlechter.

Gleichzeitig hat die Epoche auch die Auseinandersetzung mit sexuellen Rechten und Freiheiten angestoßen. In Reaktion auf die strengen Restriktionen entwickelten sich soziale und politische Bewegungen, die sich für ein emanzipiertes und aufgeklärtes Verständnis von Sexualität einsetzten. In diesen Prozessen lassen sich die Wurzeln der sexuellen Revolution und des modernen Feminismus erkennen.

Das Erbe des viktorianischen Zeitalters ist somit zweischneidig: Es lehrte die westliche Welt sowohl Zurückhaltung als auch den Aufbruch zu einer neuen Offenheit, die sich für das Recht auf individuelle sexuelle Selbstbestimmung und Gleichberechtigung stark macht.

Fazit: Sexualität im viktorianischen Zeitalter und ihre Auswirkungen heute

Die Reflexion der Sexualität im viktorianischen Zeitalter offenbart ein komplexes Zusammenspiel von gesellschaftlichen Normen, persönlichen Bedürfnissen und der beginnenden wissenschaftlichen Erforschung menschlicher Sexualität. Die viktorianische Epoche hinterließ ein Erbe, das durch widersprüchliche Tendenzen charakterisiert ist: strenge Tabuisierung einerseits und der Keim für eine freiere Sexualität andererseits.

Obwohl in der modernen Welt viele der viktorianischen Restriktionen überwunden wurden, sind die Einflüsse jener Ära auf die heutige Sexualmoral und die Geschlechterverhältnisse immer noch spürbar. Es gibt Bereiche in unserer Gesellschaft, in denen sich die Nachwirkungen in Form von Zurückhaltung gegenüber sexueller Erziehung oder der immer noch bestehenden Stigmatisierung bestimmter sexueller Präferenzen zeigen.

Gleichzeitig hat die kritische Auseinandersetzung mit den viktorianischen Werten zu einem fortschreitenden Wandel beigetragen. Sexualität wird heute zunehmend als ein wesentlicher und positiver Aspekt des menschlichen Lebens angesehen, der Selbstverwirklichung und Freude bringt.

Das Verständnis und die Akzeptanz einer pluralistischen Sexualität sind direkte Antworten auf die Repressionspolitik des viktorianischen Zeitalters. Dessen Erforschung hilft uns, bestehende Barrieren zu erkennen und aufzubrechen und fördert eine Gesellschaft, in der sexuelle Gesundheit, Aufklärung und Selbstbestimmung zu einer verbesserten Lebensqualität für alle beitragen.

Zusammenfassend lehrt uns der Rückblick auf die Sexualität im viktorianischen Zeitalter, dass gesellschaftlicher Fortschritt oftmals aus einem Spannungsverhältnis entsteht. Es ist notwendig, die Geschichte zu kennen, um die Gegenwart zu verstehen und eine offenere und inklusivere Zukunft im Bereich der Sexualität zu gestalten.

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FAQ: Intimität und Moral im Viktorianischen Zeitalter

Was waren die Haupttabus bezüglich der Sexualität im Viktorianischen Zeitalter?

Im Viktorianischen Zeitalter war Sexualität ein Thema, das von ausgeprägten Tabus umgeben war. Dazu gehörte die strikte Trennung von Sexualität und Öffentlichkeit, die Verurteilung von außerehelichem Geschlechtsverkehr und die Unterdrückung sexueller Bildung. Erotische Literatur und Kunst mussten im Geheimen konsumiert werden, und Themen wie Empfängnisverhütung oder sexuelle Neigungen waren mit Stigma behaftet.

Wie wurden Frauen in Bezug auf ihre Sexualität behandelt?

Frauen wurden im Viktorianischen Zeitalter in Bezug auf Sexualität stark idealisiert und sollten keusch und tugendhaft auftreten. Ihre Rolle beschränkte sich vorrangig auf Ehe und Mutterschaft; sexuelle Bedürfnisse oder Lust wurden weitgehend negiert oder als unanständig angesehen. Weibliche Sexualität wurde oft pathologisiert und als Hystérie fehlinterpretiert.

Welche Auswirkungen hatte die Unterdrückung der Sexualität auf die viktorianische Gesellschaft?

Die restriktive Sexualmoral führte zu einer Gesellschaft, die von heimlichen Affären und einer Kultur des Versteckens und der Geheimhaltung geprägt war. Unwissenheit und Fehlinformationen über sexuelle Gesundheit verbreiteten sich, und es kam häufig zu unerwünschten Schwangerschaften sowie der Ausbreitung von Geschlechtskrankheiten.

Wie widerspiegelte sich die Doppelmoral in Bezug auf männliche Sexualität?

Während auch Männer im Viktorianischen Zeitalter strenge sexuelle Verhaltensregeln beachten sollten, gab es für sie ungeschriebene Ausnahmen, wie den Besuch bei Prostituierten, die sie im Geheimen tolerieren ließen. Diese Praktiken durften jedoch nicht öffentlich gemacht werden, und es herrschte eine allgemeine Erwartung von Männer, ihre Lust unter Kontrolle zu halten.

Inwiefern beeinflusst das Viktorianische Zeitalter die heutige Sexualmoral?

Die moralischen Vorstellungen des Viktorianischen Zeitalters wirken bis heute nach und prägen weiterhin Aspekte der modernen Sexualmoral. Zurückhaltung und Diskretion bei sexuellen Themen gehen oft auf viktorianische Ideale zurück. Zugleich führte die kritische Auseinandersetzung mit der viktorianischen Sexualmoral zu einem fortschreitenden Wandel und zu einer zunehmend freieren und aufgeklärteren Einstellung zur Sexualität.

Ihre Meinung zu diesem Artikel

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Unerwähnt aber ebenso wichtig ist die Tatsache, dass auch die männliche Beschneidung, also die Amputation der Vorhaut in der viktorianischen Zeit ihren Ursprung hat. Masturbation wurde als Ursache für verschiedenste Übel angesehen. Durch die Entfernung der männlichen Vorhaut, die mit über 50000 sensiblen Nervenendigungen der empfindlichste Teil des Mannes ist (an der Eichel sind lediglich 4000 Nervenendigungen) meinte man verschiedenste Krankheiten (bis hin zur Schizophrenie) eindämmen zu können.
Die Masturbation sollte durch die Beschneidung erschwert werden. Leider wird heutzutage immer noch unter vermeintlich hygienischen Aspekten die Vorhaut (in Amerika oder Australien z.B.)
unreflektiert und ohne Einwilligung der zumeist minderjährigen Jungen abgeschnitten.
Ich würde Sie bitten, diesen wichtigen Aspekt auch in ihren Artikel mit aufzunehmen. Es gibt nämlich genügend Männer auf dieser Welt, die unter ihrer Beschneidung leiden. Physische wie psychische Probleme können zahlreich auftreten. Das Negieren dieser und die Legalisierung der männlichen Genitalbeschneidung ist auch ein Erbe der viktorianischen Zeit.

Zusammenfassung des Artikels

Im viktorianischen Zeitalter herrschten strenge Ansichten über Sexualität, die als privat und oft anstößig galt; sexuelle Selbstentfaltung war stark limitiert. Diese Epoche zeichnete sich durch Tabuisierung von Sexualität aus, wobei Geschlechterrollen definiert wurden und Auswirkungen bis in die heutige Zeit reichen.

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